Empfehlungen Deinen Ausstellungsbesuch wirkungsvoll und nachhaltig zu gestalten
Du hast vielleicht in den nächsten zwei drei Wochen ein bisschen mehr Zeit, um etwas zu machen, was du normalerweise eher selten tust: z.B. in ein Museum oder in einer große Ausstellung zu gehen. Ich bin der festen Überzeugung, das jeder, der sich in der einen oder anderen Art mit Kunst beschäftigt, von den alten, den jungen, den bekannten und den unbekannten Meistern und auch nicht Meistern lernen kann. Sei es als Kunst Schaffende, sei es als Kunst Konsumierende ist die Kunst der anderen immer eine großartige Lehrerin. Wir lernen genau zu beobachten, lernen Komposition und den Gebrauch der Farbe zu verstehen, bekommen Ideen für eigene Werke. Wenn uns etwas wirklich gefällt, geht uns einfach das Herz auf und die Arbeit spricht mit uns. Damit du besser in diesen Prozess kommst und auch verstehst, dass du selber dir ein Urteil fällen kannst und auch auf deine Art und Weise das Werk interpretieren und verstehen kannst, möchte ich dir eine kleine Anleitung zum Besuch einer Ausstellung geben. Ich möchte dir gern zeigen, wie du am meisten von einem Gang in eine Ausstellung profitieren kannst. Vorher erzähle ich dir ein bisschen von meinen Erfahrungen in verschiedenen Großausstellungen in diesem Jahr und wie ich davon profitiert habe und dann kommt die Anleitung.
Documenta, Skulpturenprojekte in Münster und Biennale in Venedig , mein Kunst Marathon in 2017
Ich habe in 2017 einen wahren Ausstellungsmarathon hinter mir: Dokumenta 14, Kassel (alle 5 Jahre, große internationale Ausstellung in Kassel) dann Skulpturenprojekt Münster2017 (alle 10 Jahre in Münster alles zum Thema Skulptur und Installation) und anschließend im November auf der Biennale 57 in Venedig (alle 2 Jahre große intern. Ausstellung in Venedig, einer der ältesten in Europa). Dieses Jahr ist sie schon im vollen Gange bis Mitte November.
Ich bin froh, dass ich das alles gesehen habe, bin aber auch froh, dass ich das jeweils in netter Begleitung von Freunden gemacht habe.
Zum Beispiel fand ich die Documenta nicht so besonders interessant und war sehr froh mit Freunden, die ich sonst selten sehe, dort gewesen zu sein. Am Besten hat mir wahrscheinlich die Biennale in Venedig gefallen. Der Titel war schon sehr vielversprechend: Viva Arte Viva (Es lebe die Kunst lebe)(Im Anhang findest du ein paar einschlägige Artikel zu den jeweiligen Ausstellungen)
Warum gehe ich in Ausstellungen?
Die Frage stellt sich natürlich, warum nehme ich mir die Zeit und auch den finanziellen Aufwand in Kauf nehme, um in diese Ausstellungen zu gehen und was habe ich davon. Jede Ausstellung zeigt mir etwas, was ich noch nicht entdeckt hatte, oder etwas was ich schon kannte, aber sich auf einer anderen Ebene oder in einem anderen Zusammenhang präsentiert. Das ist was mich inspiriert und mich auf neue Gedanken bringt. Z, B habe ich auf der Biennale eine rumänische Künstlerin entdeckt Geta Brătescu. Sie ist über 90 Jahre alt und noch immer künstlerisch tätig. Das gibt doch zu hoffen. Kunst machen hält offensichtlich jung, insbesondere uns Frauen:) Ihre Arbeiten fand ich großartig in ihrer ganzen Vielfalt und Unterschiedlichkeit. In den Werken von anderen Künstlern suche ich nach neuen Sichtweisen, neuen Ideen. Ich suche aber auch: was verbindet mich mit anderen Künstlern, was wollen die der Welt sagen, was haben wir gemeinsam oder wo bin ich ganz anderes. Meistens habe ich zu den Künstlern am meisten Zugang, in deren Arbeiten ich mich selber und meine Arbeit in irgendeiner Form wieder finde. Aus diesem Grund ändern sich auch die Affinitäten. Künstler, die ich noch vor 10 Jahren ganz toll fand, finde ich vielleicht mittlerweile weniger interessant.
Was kannst du aus einer Ausstellung mitnehmen?
Ich bin aber davon überzeugt, dass für jeden, der sich mit Kunst irgendwie befasst, die Auseinandersetzung mit Arbeiten von unterschiedlichen Künstlern immens wichtig ist. Es geht dabei nicht so sehr darum, was gefällt oder nicht gefällt. Durch die Auseinandersetzung erlebst du, dass du einen neuen Zugang bekommst zu Künstlern, mit denen du vorher nichts anfangen konntest. Außerdem sind sie großartige Lehrmeister und zeigen, was war und was sein wird und machen uns dieses bewusst. Wir leben ja nicht getrennt vom Rest der Welt und wir müssen auch das Rad nicht immer neu erfinden. Wir können weitergehen mit dem Fluss, der schon für uns bereitet ist und das gilt für jeden von uns, egal wo wir stehen.
Die Anleitung für deinen nächsten Ausstellungsbesuch
Hier bekommst du Tipps, wie du eine Ausstellung sei sie groß oder klein, sei es ein Museum oder so eine riesen Ausstellung wie die Biennale in Venedig am besten für dich nutzen kannst.
- Nimm Dir Zeit:
Mach es zu einer gemütlichen Veranstaltung, wo du dich nicht abhetzen musst und wo du auch etwas Zeit nach hinten hast.
- Geh allein
oder mit jemanden, der auch wie du, die Ausstellung in einer langsamen Art und Weise nutzen will. Gehst du mit Familie und Kindern erkunde, wo sie sich ohne dich für eine Weile amüsieren können. Geh nicht mit mir, ich renne nämlich durch Ausstellungen zumindest zu Anfang.
- Nimm dir eine Skizzenbuch mit und etwas zum Zeichnen.
Nimm dir auch deine Handy zum Foto machen mit oder eine kleine Kamera. Mittlerweile ist es in vielen Musen erlaubt zu fotografieren, aber ohne Blitz und ohne Stativ. Ich glaube mit der Handyfotografirerei haben sie es schlicht aufgeben, es zu verbieten. Aber erkundige dich vorher. Zeichnen darf man eigentlich überall, aber du darfst dich meistens nicht auf den Boden setzen.
Im Museum oder in der Ausstellung angekommen:
- Am Anfang der Ausstellung:
Schau dir an, was da ausgestellt wird und welche Räume dich am meisten interessieren, falls es seine sehr große Ausstellung ist. Weißt Du gar nichts von dem Künstler, lese ein wenig was zur Einführung, Es ist immer gut zu verstehen in welchem zeitlichen und örtlichen Kontext ein Werk entstanden ist. Wenn z.B. jemand ein abstrakte Arbeit 1914 gemacht hat und jemand anders so was ähnliches 1960 macht das natürlich einen riesen Unterschied. Ich rate stark von den Audio Guides ab. Die sind zwar oft sehr gut gemacht, aber du wirst ordentlich mit Wissen vollgestopft immer aus der Sicht eines Kunsthistorikers. Aber du willst gern selber sehen und deine Intuition schärfen lernen. Vielleicht eher das ganze aus der Sicht des Künstlers verstehen.
- Erster Raum:
Nimm Dir den ersten Raum vor und mach eine schnelle Runde. Versuche zu verstehen, um was es geht. Handelt es sich um Zeitgenössische Kunst und du verstehst gar nichts, kann es ratsam sein, ein wenig zu lesen. Meistens steht irgendwo was an den Wänden zum Künstler und um was es geht. Wenn du in dem Raum eine Arbeit findest, die dich anzieht, geh zu dieser Arbeit und fang an sie zu studieren.
- Du setzt dich mit einer Arbeit intensiv auseinander:
Wie geht das? Eine Möglichkeit ist Skizzen zu machen. Das hilft meistens ungemein, eine Menge zu sehen, was du vorher nicht gesehen hast. Damit wirst du auch anschließend mehr verstehen. Du musst auch nicht die ganze Arbeit skizzieren, es reicht ein paar Teile.
- Fragen zur Arbeit, die du dir stellen kannst:
- Wie ist die Arbeit aufgebaut?
- Was werden für Farben benutzt?
- Wie wird Farbe eingesetzt?
- Sind es komplementär Farben, Farben die sich ähnlich sind, Knallfarben gedämpfte Farben?
- Inwiefern hilft die Farbe eine bestimmte Stimmung zu vermitteln usw.
- Wie funktioniert die Komposition?
- Gibt es Querverbindungen zwischen einzelnen abgebildeten Personen oder Gegenständen?
- Wie steht die Arbeit im Raum? Wie ist die Verbindung zu den anderen Arbeiten?
- Vielleicht gibt es auch gar keine!
Du wirst merken, dass du beginnst immer mehr zu sehen und dir im wahrsten Sinne des Wortes die Augen aufgehen und somit auch mehr verstehst. Gehe sehr stark mit deiner Intuition, ohne mit dem Kopf unbedingt verstehen zu wollen. Wenn es sich um eine gute Arbeit handelt, wird sie sich dir so erschließen.
Die einzig große Ausnahme sind sehr konzeptuelle Arbeiten, wo es sehr stark nur um die Idee geht, aber wenn sie wirklich gut sind, haben sie auch einen visuellen Impakt. Wenn du zufälligerweise auf einen Raum stößt, der Josef Beuys gewidmet ist, empfehle ich dir, vorher ein wenig was darüber zu lesen. Oft sind es Reste von Happenings, die er gemacht hat und die sich so nicht unbedingt erschließen.
Wie geh ich mit Video Kunst um?
Videos sind auch noch mal ein Thema für sich: Die erste Entscheidung ist: will ich mir das jetzt anschauen oder nicht. Falls du dich für ja entschieden hast, schaue es dir zu Ende an, weil sonst hast du gar nichts davon. Das ist ein bisschen wie auf einer Internet Seite, die ersten 2 Sekunden entscheiden. Aber nachdem du ein Video gesehen hast, kannst du dir folgende Fragen stellen:
- Welche Szene hat mich besonders beeindruckt?
- Gab es ein Anfang und Ende, was passierte dazwischen.
- Finde ein Wort, was das Video für dich beschreibt?
- Kannst du eine Skizze von ein oder mehren Szenen machen?
- Beschreibe deine Emotion, die das Video ausgelöst hat.
- Finde die Kernaussage des Videos, die für dich stimmt.
Wie bewege ich mich weiter durch die Ausstellung?
Du kannst dann entweder in einen anderen Raum gehen und das gleiche mit einer anderen Arbeit machen oder du gehst zu einer Arbeit, die du vielleicht gar nicht magst und fängst auch an diese zu analysieren in dem Sinne wie vorher beschrieben. Es ist auch sehr hilfreich deine Gedanken zu notieren und wieder eine Skizze machen. Insbesondere wenn dir das Werk sehr fremd ist, kann eine Skizze sehr wertvoll sein, weil es dir dann praktisch aufs Papier fällt.
Wenn du das mit vier bis fünf Werken in einer Ausstellung gemacht hast, hast du wahrscheinlich sehr viel mehr gesehen als 95% der anderen Besucher. Spaßes halber kannst du dann ja noch mal im Katalog nachlesen, was dort zu “deinen” Arbeiten steht, vielleicht ergänzt es sich gut, was du selbst rausgefunden hast, vielleicht ist es etwas ähnliches, manchmal haben die Kommentare auch wenig mit der eigentliche Arbeit zu tun. Vertraue deiner Wahrnehmung und deinem Empfinden und du wirst sehr bereichert aus dieser Ausstellung kommen
Ist die irgendetwas für deine Arbeit eingefallen, schreibe es gleich auf und zu Hause nichts wie ans Werk. Denn du weißt ja:
Nur wer den ersten Schritt geht, kommt ans Ziel!
Hallo Marina,
tolle Idee eine Anleitung für einen Museumsbesuch zu schreiben. Ich bin selbst oft in Ausstellungen unterwegs und freue mich dann am meisten, wenn ich einen Künstler für mich “entdecke”, der mich begeistert und von dem ich vorher noch nie etwas gehört habe. Das ist so persönlich und hat auch noch was von einem abenteuerlichen Entdeckergeist. Das sind die schönsten Momente. Das mit den Skizzen werd ich einmal ausprobieren.
Am meisten ärgere ich mich aber, wenn ich Texte lese, die so verschwurbelt sind, dass wahrscheinlich nicht mal der Autor weiß, was er da fabriziert hat. Dann mach ich mir meine eigenen Gedanken. Das nächste Mal, werd ich mich mit einem Notizblock bewaffnen.
Jetzt hab ich wieder Lust auf die nächste Ausstellung,
alles liebe, Janin
Hallo Janin,
das freut mich wirklich sehr, was du schreibst. Ich bin leidenschaftliche Ausstellungsgeherin. Manchmal entdecke ich auch ganz seltsame Museen , die ebenso inspirierend sein können, wie z. B. Naturkundemuseen oder sowas. Mit den Texten gebe ich dir recht. Manchmal hilft es aber auch etwas mehr Hintergrund Informationen zu bekommen. Es kommt sehr drauf an. Aber zum Glück haben wir ja die Freiheit nicht weiter zu lesen. Viel Spass beim nächsten Besuch und alles Liebe
Marina